Die 68er Bewegung mitten im Parlament: Selbstverständnis der französischen und westdeutschen Abgeordneten als Verkörperung der Demokratie am Beispiel der Sozialdemokraten und Sozialisten (1967-1972)
Abstract
Die 68er Bewegung entwickelte sich in einer Zeit, in der ein Teil der Bevölkerung, insbesondere die studentische Jugend, ein allgemeines Misstrauen gegenüber der traditionellen Autorität hegte. Ge-nauer gesagt wurde das Parlament sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik zur Ziel-scheibe der öffentlichen Kritik und als ineffiziente Institution gebrandmarkt. In Deutschland entwi-ckelte sich die Außerparlamentarische Opposition (APO), zu der man auch die Studentenbewegung zählt. Sie verstand sich als Alternative zu einem Bundestag, in dem sich die Opposition nach Bildung der Großen Koalition 1966 auf die FDP beschränkte. In Frankreich wurde das Bild der Nationalver-sammlung als machtlose Institution während der Ereignisse vom Mai 1968 verbreitet. Die protestie-renden Studierenden liefen an der Nationalversammlung vorbei, ohne sie jedoch angreifen zu wollen, denn in der politischen Sphäre Frankreichs war die Assemblée nationale unbedeutend geworden bzw. hatte stark an Bedeutung eingebüßt. In dieser Hinsicht wurde das Parlament als Verkörperung der Demokratie und der Volksvertretung durch die Hauptakteure der 68er-Bewegung infrage gestellt bzw. als defizitär identifiziert 1. Wie aber schätzten die Abgeordneten ihre eigene Rolle im Laufe der 68er-Bewegung ein? Im Rahmen dieses Vortrags werde ich mich mit denjenigen Fraktionen befas-sen, die der 68er-Bewegung programmatisch am nächsten standen, nämlich mit der SPD-Bundestagsfraktion sowie mit der Fraktion der FGDS (Fédération de la gauche démocrate et socia-liste). Zunächst werde ich auf die zeitgenössische Wahrnehmung des Parlamentarismus in beiden Ländern eingehen, da sich beide Fraktionen in zwei sehr verschiedenen nationalen Kontexten beweg-ten. Danach werde ich den Diskurs der Fraktionen in jener Krisenzeit analysieren, um die eigene Po-sitionierung sowie die Widersprüche der FGDS-und der SPD-Fraktionen zu beleuchten. Abschlie-ßend betrachte ich den Blick der Abgeordneten auf das Parlament als Ort der Demokratie.
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